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Kolumne

Immer wieder Sonntags 270

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|Gesehen| Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung“ (unfassbar wichtig und gleichzeitig leider unfassbar vorurteilsbehaftet und stigmatisiert), Bauch, Scheine, Po – Das Geschäftsmodell der Fitfluencer:innen“ (witzig & wahr!), Drei Frauen, ein Geheimnis: Abtreibung – Wenn niemand drüber redet“ (interessant und traurig zugleich, insbesondere was die Rolle der Oma der Journalistin anbelangt!), „Essen wir in Zukunft Fleisch aus dem Labor? Veganer vs. Rinderzüchter“ (als Veganerin in dieser Runde hätte ich niemals sachlich bleiben können, eine sehr „klassisch geprägte“ Diskussion, die mich oft sprachlos gemacht hat)
|Gehört|Beginne jeden Tag mit einem Lächeln“ (großartig interpretiert), „Was von uns bleibt„, (hat mich sehr bewegt und ist großartig auf den Punkt gebracht), „Vor uns die Sinnflut“ (ebenfalls gut auf den Punkt gebracht und bewegend), Moby mit der großartigen Reprise Version von „Extreme Ways“ sowie „Survivor“ (geht auf voller Lautstärke in den ganzen Körper) und meine Playlists
|Getan| gearbeitet, geplant, geweint, geärgert, gefreut, gegangen, gelernt, gelacht, gekocht, gespielt, geholfen
|Gelernt| dass die Käfer in meinem Frauenmantel kleine Wanzen-Babys sind 
|Gefreut| über Fortschritte, 23 Spechtfedern, eine einigermaßen ruhige Woche
|Gelesen| Echter Wohlstand: Warum sich die Investition in inneren Reichtum lohnt – Ein Plädoyer für neue Werte*“
|Gekauft| ein neues Rollo* für die Küche, eine Nagelhautzange*, neues Aquarellpapier* und das erste Schwimmticket seit Oktober letzten Jahres
😍
|Geschrieben|Was ist eigentlich „normal“?
|Geplant| Schwimmen, arbeiten, Ergotherapie und ggf. spontan eine Freundin besuchen

Entzugserscheinungen & Erkenntnisse

Am Freitag hatte ich meinen ersten Termin für das Neurofeedback zur AD(H)S Therapie bei meiner Ergotherapeutin. An diesem Tag sollte ich mein Medikament nicht nehmen, um für die Testung ein möglichst realistisches Bild zu erhalten. Ich hatte mir keine großen Gedanken dazu gemacht und ging davon aus, dass das schon alles easy sein würde.

Was ich absolut nicht auf dem Schirm hatte, waren mögliche Entzugserscheinungen, sowie den (für mich gefühlt echt krassen) Unterschied zwischen der Sandra mit „neuen Superkräften“ und der „alten Sandra“.

Mein Morgen startete damit, dass ich die Salzpackung in den Kühlschrank stellte und die komplette Gurke in den Müll warf. Aus Versehen natürlich. Das nahm ich amüsiert zur Kenntnis.

Im Laufe des Tages fühlte ich mich dann zunehmend trauriger, unruhiger, benebelt und irgendwie mies gelaunt. Brachte aber nichts davon mit dem Aussetzen des Medikaments in Verbindung.

Zum Mittag hin hatte ich dann meine Ergotherapie. Zur Einstellung für die folgenden Neurofeedback-Therapiestunden wurde ich auf dem Kopf, im Gesicht und Nacken mit Elektroden verkabelt. Es folgten vier verschiedene Testzyklen von jeweils rund einer Minute.

In Zyklus 1 durfte ich nicht schlucken, nicht blinzeln und weder meinen Körper, noch meine Augen bewegen. Ich blinzelte und schluckte jeweils 1 x, das war für die Messung ok. Der zweite Zyklus hatte dieselben Regeln, nur mit dem Unterschied, dass ich nun die Augen schließen (aber dennoch nicht bewegen!) sollte. Hier schluckte ich 2x,  das war auch okay. In Kombination mit gemessenen Muskelkontraktionen (die im zweiten Zyklus bei geschlossenen Augen deutlich höher waren), lagen wir bei 10% Artefakten (also nicht verwendbaren Werten) innerhalb der Messung. Das war absolut im Rahmen.

Im dritten Zyklus sollte ich dasselbe tun, wie im ersten Zyklus. Dazu sollte ich zusätzlich in Gedanken von 207 immer 7 abziehen. Am Ende des Zyklus fragte die Therapeutin „Und? Wie weit sind sie gekommen?“ meine Antwort sagt alles darüber aus, wie es in meinem Kopf aussah. Denn ich sagte: „Ich glaube so um die 237“ 🤣 Für mich war es unmöglich, ohne meine Finger zu benutzen, meine Augen zuzukneifen oder irgendwie sonst meinen Körper zu nutzen, zu zählen bzw. umgekehrt still zu sitzen, während ich zähle.

Diese „Unmöglichkeit“ zeigte sich dann auch in den Messergebnissen, die über 60% Artefakte aufwiesen. Ich selbst hatte das Gefühl völlig ruhig zu sitzen und bezogen auf „krasse Bewegungen“ entsprach das auch der Realität. Meine innere Anspannung war allerdings so stark, dass sie seeehr gut messbar war 😅

Dasselbe Bild zeigte sich dann im vierten und letzten Zyklus: Dort sollte ich dieses Mal das Alphabet durchgehen und mir zu jedem Buchstaben zwei Vornamen ausdenken. Insgesamt nicht schwierig, aber dabei auf jegliche, noch so zarte Bewegung zu verzichten? Ging (für mich) gar nicht.

Die Ergebnisse waren für diesen Tag also insgesamt schwierig zu verwerten. Ich fand es spannend zu sehen, wie ich Körperbewegung brauche, um mich wenigstens ein bisschen konzentrieren zu können. Das hat allerdings nicht zwingend was mit AD(H)S zu tun :-) 

Was allerdings damit zu tun hat, sind die Auswertungen der Gehirnwellen. Bei mir waren die alpha-Wellen (die bei gesunden Menschen für eine „wache Entspanntheit“ stehen) außergewöhnlich hoch, während die Beta-Wellen (die für aktive Aufmerksamkeit stehen und bei gesunden Menschen den „Normal Zustand“ darstellen) sehr niedrig waren und auch beim intensiven Nachdenken kaum anstiegen, dafür aber in den Entspannungsphasen in die Höhe schossen. Der O-Ton meiner Ergotherapeutin war: „Wenn ich die Ergebnisse meinen Kolleginnen zeige, werden die mich fragen, ob ich mir sicher bin, dass Sie wach waren“ 😅 Die Ergebnisse waren jedenfalls sehr AD(H)S typisch.

Nachdem ich bei der Therapie fertig war, fuhr ich nach Hause und war nicht nur hundemüde, sondern plötzlich auch todunglücklich. Ich legte mich aufs Bett, Marius kam dazu und während ich von der Therapie erzählte, wurde ich immer trauriger. Ich konnte die Gefühle gar nicht zuordnen und auch nicht in irgendeiner Art und Weise „kontrollieren“. Marius nahm mich in den Arm und sagte irgendwann lachend: „Du bist auf Turkey, man! Mach dir keinen Kopf“.

Und da fiel es mir echt wie Schuppen von den Augen. Vorher waren mir die Zusammenhänge gar nicht bewusst, aber als er die Entzugserscheinungen ansprach, war plötzlich alles klar 😅 Tatsächlich kann das abrupte Absetzen zu Müdigkeit, depressiven Verstimmungen und anderen Symptomen führen. 

Na, jedenfalls fiel mir an diesem Tag extrem auf, wie gut das Medikament mir hilft und wie krass der Unterschied für mich ohne Medikament ist. Freitag fühlte ich mich, in Bezug auf die Müdigkeit und nicht vorhandene Konzentration, genau so, wie ich mich früher IMMER gefühlt habe. Nach nun fast einem Jahr mit Medikament und der daraus resultierenden Konzentrationsfähigkeit, ist es für mich fast unvorstellbar, wie ich es ohne Medikament überhaupt bis hierher geschafft habe 😆

Der Unterschied hat mich niedergeschmettert, weil ich die Hoffnung hatte, das Medikament recht zügig absetzen zu können. Dadurch, dass die Wirkung sich so natürlich gesteigert hat und sich „wie meins“ anfühlt, dachte ich, dass ich diese „innere Fähigkeit“ auch ohne Medikament haben könnte. Dass das (noch) nicht so ist, hat mich durchaus traurig gemacht.

Wie so oft wollte ich mehr, als realistisch möglich ist. Dass die Probleme, die sich durch das AD(H)S für mich ergeben und mich mein Leben lang begleiten, sich nach nicht mal einem Jahr medikamentöser Therapie plötzlich in Luft auflösen, wäre halt auch sehr, sehr sportlich gewesen 😅

Es war gut und wichtig zu fühlen, welchen positiven Einfluss das Medikament auf mein Gehirn hat bzw. was mein Gehirn ohne noch nicht kann. So sind mir meine neuen „Superkräfte“ auch nochmal deutlich bewusster geworden. Man vergisst so schnell, wie es war bzw. ist, wenn das Gehirn keine Hilfestellung bekommt.

Specht-Geschenke

Auf unserem Spaziergang gestern gab es gleich 23 Feder-Geschenke von einem Buntspecht. Darüber habe ich mich total gefreut. Neben Eichelhäher-, Kauz-, Rotmilan-, Fasan- und Bussardfedern, sind die Buntspechtfedern mit die interessantesten Federn.

Was spannend ist: ich wusste, dass ich letztes Jahr Buntspechtfedern fand und mich über ihre Botschaft aufregte. Gerade als ich danach suchte, fand ich das dazugehörige „Immer wieder Sonntags„. Es ist genau gestern vor einem Jahr geschrieben worden. Ich schreibe darin unter anderem:

Aber kurz bevor ich mich dazu hinreißen lasse, mich jammernd und hilflos zu Boden fallen zu lassen, um auf Rettung zu hoffen, fällt mir wieder ein, dass ich mit in der Hand habe, wie das Leben läuft. Ich kann und darf mitbestimmen. Wir sind die Bestimmer. Wir haben so unendlich viel Macht, sind voller Liebe und haben ein riesen Geschenk, das nicht jedem zuteil wird: das JETZT und die damit verbundenen Möglichkeiten.

Wir können vielleicht nicht unser Schicksal gänzlich verändern, aber ihm zumindest einen gehörigen Arschtritt verpassen. Genau an diese Freiheit, an diesen Teil des Lebens, an diese Kraft werden mich diese verdammt(schönen)en Spechtfedern ab sofort erinnern. Wenn kämpfen zum Kreislauf des Lebens dazu gehört, bin ich verdammt nochmal bereit und willig, diesen Kampf zu gewinnen.

Das berührt mich heute, ein Jahr später, ganz besonders und es passt zu dem, woran ich seit Tagen denke: Wir haben eine Zeit überstanden, in der wir anfangs glaubten, dass einer von uns sehr bald sterben müsse. Wir leben und haben (gefühlt) „Zeit geschenkt bekommen“.  

Wieder wird mir erst im Nachgang bewusst, was wir letztes Jahr an Ängsten und Unsicherheiten durchgestanden haben. In einer Zeit, die verrückter und verzwickter gar nicht hätte sein können. 

Aber genau das ist unsere „Superkraft“. Dass wir, besonders wenn es schwer wird, im Moment leben und kaum an gestern oder morgen denken. So gelingt es uns meist, selbst in den beschissensten Situationen Freude zu empfinden und gemeinsame Zeit zu genießen. 

Papas Tod hat mir gezeigt, dass das Leben in jeder Sekunde enden kann. Das letzte Jahr hat dieser Erfahrung das Leben entgegen gesetzt und gezeigt, dass es nicht immer so sein muss. 💜

Und sonst so?

Dienstag waren wir um acht Uhr morgens bei Avis, um uns für den Umzug einer Freundin einen Wagen zu mieten. Zahlreiche blaue Flecken (ein Hoch auf mein Bindegewebe, ich sehe mal wieder aus, als wäre ich verprügelt worden 🙄) und etwas über 12 Stunden später landeten wir erschöpft wieder bei uns Zuhause. 

Ich habe den gesamten Umzug in Barfußschuhen und Punktekleid gemacht und alles daran geliebt. Manche Passanten schien das amüsiert zu haben, ich fand es einfach großartig, weil ich so gut belüftet und beweglich war. 

Außerdem waren wir im Wald spazieren, Mama hat mir mal wieder einen „Blumengruß“ an der Windschutzscheibe hinterlassen und ich habe, neben ein paar Wildheidelbeeren und Kamillenblüten, außerdem auch wieder einige Zecken eingesammelt. Hatte in den letzten Wochen schon sieben Stück, obwohl ich mich gut abgesucht habe. War offenbar nicht gut genug – MEGA nervig!

Dienstag werde ich zum ersten Mal seit dem 07.10.2020 wieder schwimmen gehen. Ich freue mich so unwahrscheinlich auf das Gefühl, komplett abzutauchen und im Wasser meine Bahnen schwimmen zu können. Bin sehr gespannt, was die gezwungene Auszeit so mit meinen Zeiten gemacht hat. Bei meinem letzten Schwimmtag ist mir nämlich noch aufgefallen, wie sich meine Geschwindigkeit verändert hatte (siehe unter „Fortschritte sichtbar machen & anerkennen“).

Ich halte euch auf dem Laufenden und wünsche euch einen schönen Sonntag!

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