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„Stell dich nicht so an! -Warum Menschen die Gefühle anderer klein reden

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In den letzten Jahren habe ich mir angewöhnt, vieles zu hinterfragen. Statt andere beispielsweise für ihr Verhalten zu verurteilen, versuche ich mein möglichstes, zu verstehen, woher das kommt und was dahinter steckt. Das schafft häufig, wenn auch nicht immer, Verständnis.

In diesem Artikel möchte ich mich damit beschäftigen, warum Menschen, die Gefühle anderer klein reden und Dinge sagen wie „Stell dich nicht so an“ und so Verständnis für beide Seiten schaffen.


Wann sagt man „Stell dich nicht so an!“ ?

Üblicherweise wird „Stell dich nicht so an!“ immer dann als vermeintliches „Totschlagargument“ angeführt, wenn man Widerspruch vermeiden /sein Gegenüber herabwürdigen / sich selbst als besser darstellen / die eigene Unzulänglichkeit vertuschen / Gefühle nicht zulassen oder zum Beispiel seine Ablehnung kundtun möchte. Häufig passiert das eher unterbewusst und nicht aus reiner Boshaftigkeit.

Du hast Angst vor Corona? Stell dich nicht so an! Du bekommst vom Mundschutz tragen Panik? Stell dich nicht so an! Du bist ein Mann und hast Schmerzen oder Schnupfen? Stell dich nicht so an! Du bist sensibel? Stell dich nicht so an! Du hast eine kleine Verletzung, die dir besonders weh tut? Stell dich nicht so an! Du kommst über einen Schicksalsschlag nicht hinweg? Stell dich nicht so an! Du weinst wegen einer vermeintlichen Kleinigkeit? Stell dich nicht so an! (MIR geht es schließlich VIEL schlechter!)


Warum sagt man „Stell dich nicht so an“ ?

In der 2015 im „Journal of Personality and Social Psychology“ veröffentlichten Studie mit dem Namen „Having „Been There“ Doesn ‚t Mean I Care: When Prior Experience Reduces Compassion for Emotional Distress“ fanden Rachel L. Ruttan, Mary-Hunter McDonnell und Loran F. Nordgern heraus, dass die Teilnehmer der Studie, die zuvor ein emotional erschütterndes Erlebnis durchlebt hatten (z.B. Mobbing, Panikattacken o.ä.) das Versagen einer anderen Person in einer ähnlich belastenden Situation härter bewerteten, als jene, die keine Erfahrungen in diesen Bereichen hatten oder die gerade ein solches Erlebnis aushalten mussten. Die Fähigkeit zur Empathie geht aus verschiedenen Gründen verloren.

Ein „Stell dich nicht so an“ lässt sich immer auf die Persönlichkeit / Situation des „Schlechtreders“ zurückführen. Wer eine Situation so bewertet, muss sich nicht um den Anderen kümmern und versetzt sich selbst ein Stück weit in die Opferhaltung, auf der Suche nach Zuspruch/Mitleid, im Sinne von „Mir geht es viel schlechter!“.

Man muss nicht mal das eigene Verhalten auf die belastende Situation des Gegenübers anpassen. Schließlich ist es ja nicht so schlimm! Das ist einfach und bequem. Und es ist anmaßend, bewerten oder bemessen zu wollen, wer wann wie stark leiden darf oder wer mehr gelitten hat.


Aber was genau steckt nun hinter diesem abwertenden Verhalten? Warum sagt man Sätze wie „Reiß dich jetzt mal zusammen!“ oder „Stell dich nicht so an!“?

Spiegel der Seele

Nicht selten haben die „Runtermacher“ selbiges in ihrem Leben erlebt und sind vielleicht sogar mit dem Gefühl aufgewachsen, dass ihre Gefühle nicht ernst genommen und runter gespielt werden. Wer es nicht anders kennt, ist häufig auch nicht in der Lage, anders zu handeln. Oft entwickelt sich aus diesen Erfahrungen heraus das tiefe (unbewusste) Bedürfnis, andere Menschen ebenfalls zu erniedrigen.

Eigener Schicksalsschlag

Häufig sind Menschen, die die Probleme anderer klein reden, von einem schweren Schicksalsschlag betroffen (Todesfall, tödliche Krankheit o.ä.). Ihr subjektiv empfundenes Leid ist so stark, dass sie das „Gejammer“ anderer nicht mehr ertragen können. Im Angesicht des Todes wird einem oft erst bewusst, wie wenig man das Leben zuvor genossen und gelebt hat. Wie oft man sich selbst im Weg stand und sich über vermeintliche Kleinigkeiten aufgeregt hat. In einer solchen Situation ist es für viele beinah unerträglich, andere über „Kleinigkeiten jammern“ zu hören. Die eigenen Gefühle nimmt man als viel bedeutender und die Situation als viel schwieriger wahr (was häufig sicher auch so ist), so dass man anderen ihre individuellen Probleme abspricht.

Überforderung

Ein weiterer Grund kann eine Form der Überforderung sein. Zum einen kann jemand, der „Stell dich nicht so an!“ sagt, damit überfordert sein, die eigenen Gefühle, die mit dem jeweiligen Thema verbunden sind, zuzulassen und auszuhalten. Zum anderen kann es auch überfordernd sein, die Gefühle des anderen nachzufühlen. Die Überforderung sorgt dafür, dass man die Situation herunter spielt, um einer Diskussion und/oder Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen.

Notwehr

Kennt ihr diese kleinen „Kläffer“, die aus Angst besonders laut bellen und den Schwanz einziehen, wenn man ihnen zu nah kommt? Ungefähr so verhalten sich Menschen in Situationen manchmal, wenn sie sich von etwas angegriffen fühlen. Oft liegt der Schmerz tiefer und kann von Außen kaum oder gar nicht wahr genommen werden. Besonders fieses, lautes „kläffen“ weist aber meist auf eine Verletzung hin, das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen :-)

Mangel

Es gibt Menschen, die andere permantent runter machen müssen, um ihre eigene (vermeintliche) Überlegenheit zu demonstrieren. In einer Konstellation, in der sich alle Beteiligten auf Augenhöhe begegnen, würde sich der Runtermacher nicht wohlfühlen. Häufig weist ein solches Verhalten auf einen Mangel z.B. an Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl, aber möglicherweise auch auf einen Mangel an Empathie oder Anerkennung hin. Das Streben danach, die Oberhand zu behalten, erfolgt in den allermeisten Fällen aus dem Bedürfnis heraus, keine eigene Schwäche zuzulassen.

Interessen wahren

Ein weiterer Grund kann die Wahrung und Durchsetzung eigener Interessen sein. Dabei passiert es manchmal, dass man sich nicht mehr auf Augenhöhe begegnet / begegnen möchte, um einen Kompromiss zu schließen, sondern statt dessen die Bedürfnisse des Gegenübers klein redet und somit übergeht.

Dieses Verhalten sieht man aktuell besonders häufig. Es prallen zwei unterschiedliche Formen des Wunsches nach Sicherheit aufeinander. Die eine Seite ist beispielsweise für das Tragen eines Mund- und Nasenschutzes in der Öffentlichkeit, um die Sicherheit aller Beteiligten zu maximieren. Die andere Seite fühlt genau durch diesen Mundschutz ein großes Unsicherheitsgefühl, ausgelöst durch verschiedene Ängste (z.B. die Angst davor, keine Luft zu bekommen). Diese Angst wiederum kann nur gelindert werden, wenn kein Mundschutz getragen werden muss. Die vermeintlich schwächere Seite ist schnell ausfindig gemacht und wird mit einem „Stell dich nicht so an! belegt, um die eigenen Interessen durchzusetzen.

Gesellschaftlicher Druck

Gesellschaftlicher Druck entsteht relativ schnell, auch in kleineren Gruppen. Eine Gruppe grenzt eine Minderheit, warum auch immer, aus. Wer neu zur Gruppe hinzu stößt, wird diese Minderheit für gewöhnlich ebenso ausgrenzen, um selbst nicht ausgegrenzt zu werden. Gerade wenn gesellschaftliche Regeln aufgestellt werden, dulden viele die Gegenbewegung nicht und empören sich.

Antipathie

Nicht immer sind die Gründe so „tiefgehend“. Manchmal steckt hinter der Abwertung der Gefühle anderer auch eine Antipathie.


Ich kenne beide Seiten

Ich bin auf der einen Seite ein „Sensibelchen“, das schon oft ein „Ist doch nicht so schlimm / stell dich nicht so an / reiß dich zusammen“ gehört hat und das eigene Verhalten entsprechend angepasst hat. Auf der anderen Seite erinnere ich mich an Situationen, in denen mir die Empathie für mein Gegenüber fehlte. Vor allem früher war das gar nicht mal so selten der Fall. Ich habe, aus meinem eigenen Mangel heraus, immer wieder andere herabgewürdigt und klein geredet, um mich selbst besser zu fühlen.

Entsprechend wichtig finde ich es, genau hinzuschauen und wie immer den Blick für das große Ganze zu wahren.

Fragen zur Selbstreflexion für beide Seiten:

Habe ich diese Gefühle oder diese Situation selbst schon einmal durchlebt? Wie habe ich reagiert? Wie habe ich mich gefühlt? Was ist mein Bedürfnis? Welches Bedürfnis könnte mein Gegenüber haben? Was wünsche ich mir von meinem Gegenüber? Wie kann ich diesen Wunsch wertfrei formulieren? Was würde ich meinem Gegenüber sagen, wenn er/sie ein guter Freund/eine gute Freundin wäre? Welches Verhalten würde ich mir wünschen, wenn ich in seiner/ihrer Situation wäre? Ist das, was ich sagen möchte, wirklich notwendig, hilfreich und wahr? Wie fühlt es sich für mein Gegenüber an, wenn ich seine Gefühle so klein rede? Wie fühle ich mich, wenn meine Gefühle nicht ernst oder wahr genommen werden? Sind meine Gedanken/Gefühle wirklich wertvoller, richtiger oder wichtiger, als die meines Gegenübers?


Wie ist es mit euch? Kennt ihr das „Stell dich nicht so an“ oder „Reiß dich zusammen“ von euch selbst oder anderen? Wann denkt oder sagt ihr es? Wie fühlt ihr euch dann? Und umgekehrt: wann bekommt ihr es besonders oft zu hören und was macht eine solche Aussage mit euch?

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2 Antworten auf „„Stell dich nicht so an! -Warum Menschen die Gefühle anderer klein reden“

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