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Aus dem Leben Gedanken

Wie ein ADHS-Medikament mein Leben verbessert

Meine Erfahrungen mit der ADHS-Medikation. Wie fühlt es sich an, dieses Medikament zu nehmen?

🛈 Hinweis: Die Ausführungen auf dieser Seite dienen der neutralen Information. Sie ersetzen keine ärztliche, psychologische / psychotherapeutische Diagnose / Behandlung und dienen nicht als Grundlage zur eigenständigen Diagnose & Beginn, Änderung / Beendigung einer Behandlung von Krankheiten. Darüber hinaus stellen sie keine Empfehlung der beschriebenen Methoden, kein Heilversprechen & keine Diagnose dar. Die Inhalte basieren auf meiner Erfahrung / meinem aktuellen Wissensstand und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, Richtigkeit oder Allgemeingültigkeit.

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Seit ich im August 2020 mit 34 Jahren die Diagnose ADHS bekam, nehme ich ein Medikament ein (ich verzichte bewusst auf die Nennung des Medikaments, da Medikamentenwerbung verboten ist und Erfahrungen und Ansprüche individuell verschieden sind. Hier und hier findet ihr gute Informationen zur Medikation bei ADHS). In diesem Artikel beschreibe ich, wie ich die Wirkung des Medikamentes wahrnehme und wie es mein Leben verbessert.


Wie wirken Medikamente bei ADHS?

Die Wirkweise der Medikamente ist ziemlich komplex und je nach Wirkstoff (z.B. Methylphenidat oder Amphetamine) verschieden. Vereinfacht lässt sich allerdings sagen, dass die Medikamente den Spiegel bestimmter Botenstoffe (insbesondere Dopamin, Noradrenalin und Serotonin) verändern. Dadurch können bspw. Motivation, Konzentration oder Euphorie gesteigert, sowie Müdigkeit und Erschöpfung minimiert werden.


ADHS-Medikamente und Vorurteile

„ADHS Medikamente verändern die Persönlichkeit!“

Ich kann natürlich nur für mich sprechen und sage: Das Medikament schwächt meine Symptome ab (z.B. mangelnde Konzentration, erhöhte Impulsivität und innere Unruhe). Dadurch, dass ich mit der medikamentösen Behandlung alltägliche Dinge kann, die mir sonst nicht möglich sind, ist mein Verhalten verändert und ich kann andere Facetten meiner Persönlichkeit ausleben. Allerdings bin ich durch das Medikament keine andere Person geworden und bin weder mir noch meinem Umfeld fremd. Die Veränderungen sind für mein unmittelbares Umfeld und mich durchaus zu Beginn ungewohnt, allerdings durchweg positiv.

„ADHS Medikamente stellen einen ruhig!“

Nein. ADHS Medikamente werden auch Stimulanzien genannt. Laienhaft ausgedrückt: Sie stimulieren bestimmte Botenstoffe, wodurch der Stoffwechsel meines Gehirns normalisiert wird. Durch das neu entstandene Gleichgewicht regulieren sich z.B. meine innere Unruhe und meine Aufmerksamkeitsprobleme. Das führt zu einem veränderten Fokus. Anders ausgedrückt: Das Medikament ist meine Fernbedienung. Die 100 bisher gleichzeitig auf voller Lautstärke laufenden Fernsehprogramme in meinem Gehirn kann ich nun endlich ausschalten, sodass nur noch ein Programm bei moderater Lautstärke läuft. Und ja, das beruhigt mich enorm, hat allerdings mit „ruhig stellen“ nichts zu tun.

„ADHS Medikamente machen süchtig!“

Das Vorurteil gegenüber einiger Medikamente zur Behandlung von ADHS hält sich hartnäckig. Es stimmt, dass zahlreiche eingesetzte Medikamente dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen. Allerdings tun sie das nicht, weil Betroffene abhängig sind, sondern weil in den Medikamenten enthaltene Stoffe wie verschiedene Amphetamine häufig von anderen Menschen im Alltag missbräuchlich verwendet werden (in Form illegaler Aufputschmittel wie Speed, Pep o.ä.).

Bei ADHSler*innen wirken diese Medikamente für gewöhnlich nicht vorrangig aufputschend, sondern ausgleichend und fokussierend. Darüber hinaus enthalten einige der Medikamente sogenannte „Prodrugs“ (wie Lisdexamfetamin). Der aktive Wirkstoff wird hierbei erst durch Prozesse im Körper verwandelt und über mehrere Stunden kontinuierlich und langsamer freigesetzt, sodass ein Missbrauch sowie eine Abhängigkeit unwahrscheinlicher sind.


Meine ersten Tage mit ADHS-Medikament

Auch hier zu Beginn nochmal der Hinweis: Ich verzichte bewusst auf die Nennung des Medikaments, da Medikamentenwerbung verboten ist und Erfahrungen und Ansprüche individuell verschieden sind. Hier und hier findet ihr gute Informationen zur Medikation bei ADHS.

In diesem Artikel schreibe ich über meine Erfahrungen und Gedanken in der ersten Woche mit dem Medikament. Insgesamt hat die medikamentöse Einstellung gut ein dreiviertel Jahr gedauert.

In dieser Zeit hatte ich zu Beginn ein paar Nebenwirkungen (vorwiegend Herzrasen, erhöhter Puls, niedriger Blutdruck, Herzstolpern, innere Unruhe, starker Durst, wenig Appetit), die sich mit der richtigen Dosierung (in meinem Fall eine höhere Dosis) dann verflüchtigten.

Ich nehme das Medikament nun seit fast zwei Jahren und verspüre keine Nebenwirkungen mehr.


Wie ich die Wirkung des Medikaments wahrnehme

Die Wirkung des Medikaments empfinde ich als sehr natürlich und sanft. Ich fühle mich völlig normal, also weder berauscht, müde, überdreht oder abgeschlagen, noch anders fremd.

Ich kann die Wirkung auch nicht direkt fühlen. Zumindest nicht so, wie man beispielsweise die Wirkung von Alkohol fühlt, sobald man beschwipst ist. Das Medikament ruft bei mir also keine fühlbaren physischen Veränderungen hervor.

Wie merke ich dann, dass das Medikament wirkt? An meinen Fähigkeiten und meiner Art zu Denken und zu Handeln. Das Medikament ist mein Schlüssel zu dem Raum, in dem mein Werkzeugkoffer steht. Darin sind Werkzeuge, die ich vorher möglicherweise schon sehen, aber nicht anwenden konnte. Mit den Werkzeugen kann neue Fähigkeiten entwickeln und Türen öffnen.

Weniger abstrakt ausgedrückt konnte ich in den letzten zwei Jahren mithilfe des Medikaments folgende Fähigkeiten entdecken, nutzen, verbessern und/oder entwickeln:

  • Ich kann Aufgaben strukturierter erledigen und mich besser an meine Pläne halten (insbesondere in Bezug auf den Haushalt und die Arbeit)
  • Ich kann Informationen besser verarbeiten
  • Ich kann strategischer denken und handeln (plötzlich gewinne ich sogar Strategiespiele! ;-) )
  • Ich kann meine Impulsivität besser wahrnehmen und kontrollieren
  • Ich kann gezielter wahrnehmen
  • Ich kann mich viel besser fokussieren und konzentrieren

Die Wirkung ist allerdings nicht jeden Tag gleich. Insbesondere wenn ich meine Periode habe, merke ich deutliche Unterschiede. An diesen Tagen fällt es mir schwerer, mich zu konzentrieren. Darüber hinaus habe ich natürlich weiterhin völlig alltägliche Stimmungsschwankungen. An manchen Tagen bin ich gut drauf, motiviert usw. an anderen weniger.

Sprich: Das Medikament kann nicht zaubern. ADHS ist nicht einfach so weg und ich bin nicht die völlig durchgeplante, strukturierte und organisierte Sandra. Die möchte ich allerdings auch nicht sein.


Wie das ADHS-Medikament mein Leben verbessert

Vor meiner Diagnose und Medikation hatte ich keinen blassen Schimmer, wie belastend und ausgeprägt meine Probleme im Alltag waren.

Ständig von einem zum anderen Thema zu springen, meine Ziele nur schwer zu erreichen, mich nie richtig konzentrieren zu können, immer mehr als andere tun zu müssen und gleichzeitig das Gefühl zu haben, dumm und faul und nie genug zu tun und zu sein, war für mich alltäglich.

Von Menschen, die all die Dinge konnten, die für mich so schwer waren, glaubte ich, dass sie im Gegensatz zu mir genug dafür taten und zudem deutlich intelligenter seien als ich.

In den ersten Wochen der Medikation bemerkte ich mehr und mehr, dass ich mein Leben lang tat, was in meinen Möglichkeiten steckte und mich auf den Kopf stellte, um zu erreichen, was andere mühelos schafften – ohne Erfolg. Ich realisierte, dass ich nicht deshalb erfolglos war, weil ich zu wenig dafür tat, zu dumm oder faul war, sondern weil ich keinen Zugang zu dem Werkzeugkoffer hatte.

Das war einerseits eine belastende Erkenntnis, weil automatisch Gedanken wie „Wie wäre mein Leben geworden, wenn ich schon viel früher gewusst hätte, was mit mir los ist?“ aufkamen und gleichzeitig war die Erkenntnis enorm bereichernd. Denn jetzt habe ich Zugang zu den Werkzeugen und kann mir selbst alles ermöglichen.

Wie oben schon gesagt: Das Medikament zaubert ADHS nicht einfach so weg. Es hilft mir dabei, meine Gedanken und meine Wahrnehmung zu strukturieren und so fokussierter und konzentrierter zu sein, es macht mich aber nicht zu einem völlig anderen Menschen.

Im Alltag zeigen sich insgesamt folgende Verbesserungen:

  • Ich mache weniger Flüchtigkeitsfehler
  • Ich grüble weniger
  • Ich würfle Worte/Sätze nicht mehr so oft durcheinander
  • Ich kann komplexen Sachverhalten folgen
  • Ich kann Aufgaben auch dann erledigen, wenn ich sie langweilig finde
  • Ich kann auch dann zuhören, wenn mich etwas nicht interessiert
  • Ich werde weniger oft abgelenkt
  • Ich lasse weniger Sachen fallen / mache weniger kaputt
  • Ich habe weniger Wutausbrüche
  • Ich arbeite effektiver
  • Ich kann mehrere Dinge auf einmal erledigen
  • Ich bin geduldiger
  • Ich fühle nicht mehr diese ständige innere Unruhe
  • Ich fühle mich besser
  • Ich habe mehr Erfolgserlebnisse
  • Ich glaube mehr an mich
  • Ich bin selbstbewusster und selbstbestimmter
  • Ich kann endlich Fähigkeiten entwickeln, die ich vorher nicht entwickeln konnte
  • Ich kann mehr als eine Seite lesen und mich an die Inhalte erinnern
  • Ich kann besser mit Kritik umgehen
  • Ich fühle mich nicht mehr so stark angegriffen, wenn jemand was sagt
  • Ich bin strukturierter, vorausschauender und weniger „trottelig“
  • Ich vergesse nicht mehr ständig alles
  • Ich kann besser rechnen

Früher war es so, dass ich von den kleinsten Aufgaben überfordert war. Kein Wunder, wenn in meinem Gehirn hunderte Tasks offen sind. Es war völlig normal, in der einen Sekunde eine Aufgabe anzufangen und in der nächsten Sekunde (durch z.B. das Erledigen der Aufgabe) an etwas anderes erinnert zu werden und damit weiter zu machen, ohne dabei am Ende die erste oder die zweite Aufgabe zu beenden.

Das Medikament ermöglicht mir da eine klarere Sicht und so mehr Kontrolle über meine Gedanken und Handlungen.


Buchempfehlungen rund um ADHS im Erwachsenenalter*


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4 Antworten auf „Wie ein ADHS-Medikament mein Leben verbessert“

Liebe Sandra,
obwohl ja viele Jahre im med. Bereich tätig, hab ich mich noch nie so „richtig“ mit ADHS auseinandergesetzt. Durch Deine sehr genauen Beobachtungen und Beschreibungen weiß ich jetzt doch so Einiges mehr. Sehr interessant, danke Dir.
Liebe Grüße
Ingrid

Liebe Ingrid,
ich glaube und erlebe, dass es vielen aus dem medizinischen Bereich so geht. Nicht zuletzt eben, weil mit ADHS sooo viele Vorurteile verknüpft sind.
Freue mich jedenfalls sehr, dass meine Erzählungen interessant für dich sind und dir weiterhelfen <3

„Das Medikament ist mein Schlüssel zu dem Raum, in dem mein Werkzeugkoffer steht.“, was für ein treffender Satz. Die Medikamente haben für mich den Vorteil, dass ich überhaupt erstmal lernen kann mit dem Werkzeugkoffer umzugehen. Ich kann mich konzentrieren und habe Kapazitäten im Gehirn, für neue Verhaltensweisen. Im besten Fall verinnerliche ich diese neu erlernten Dinge und kann irgendwann auf die Medikamente verzichten. Danke, dass du deine Erfahrungen teilst und auch auf Vorurteile eingehst.

Hey Madita,
super gerne!
Und ja, genau so wie du es schreibst: Im besten Fall verinnerliche ich diese neu erlernten Dinge und kann irgendwann auf die Medikamente verzichten.
Daran arbeite und glaube ich fest. Wobei ich für mich durchaus die Erfahrung gemacht habe, dass das offenbar nicht so schnell möglich ist für mich, wie ich anfänglich dachte. Aber ja, Geduld ist halt auch nicht sopooo meine Stärke, ne ?! 🤣

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